Fast 100 Arbeitsplätze bei Rasch vor dem Aus

30.04.2024

Mit der Übernahme durch einen belgischen Investor verlieren 100 Beschäftigte bei der Firma Gebrüder Rasch in Bramsche ihren Broterwerb. Schon vor zwei Jahren hatte die traditionsreiche Tapetenfirma in der Nähe von Osnabrück 45 Arbeitsplätze gestrichen. Jetzt gibt sie zudem nach mehr als 160 Jahren ihre Selbständigkeit auf.
 
von Friedrich Siekmeier
 
„Das war eine harte Situation und alles gar nicht schön,“ so James Syrett, Betriebsratsvorsitzender der Tapetenfabrik. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge betrachtet er das Ergebnis von Verhandlungen mit der Geschäftsleitung nach dem Verkauf einer Mehrheit an dem Unternehmen. Mit der Übernahme durch die belgische Firma The Wallfashion House verlieren rund 100 Menschen ihren Arbeitsplatz. Doch, so James Syrett weiter, mit den jetzt noch 160 verbliebenen Beschäftigten könne die Tapetenproduktion immerhin fortgeführt werden.
 
Das sei anfangs nicht so klar gewesen, sagt der Volkswirt Thomas Meyer-Fries. Der Rasch-Betriebsrat hatte den erfahrenen Berater für Betriebsräte hinzugezogen, als die Geschäftsleitung der Tapetenfabrik Verhandlungen über einen Sozialplan gefordert hatte. Unklar war zu dem Zeitpunkt, ob sich ein Investor finden würde, der Rasch aus einer bedrohlichen Schieflage retten würde.
 
Immerhin kann die Firma weiter bestehen
 
„Letztlich haben die Beschäftigten einen sehr hohen Preis gezahlt,“ so Thomas Meyer-Fries, „aber es gab keine bessere Alternative.“ Die Tapetenbranche insgesamt befinde sich in einer strukturellen Krise. Während eines Booms dank neuer Märkte in Osteuropa in den 90er Jahren und in dem folgenden Jahrzehnt habe die Tapetenbranche sehr gut verdient. Doch wo das Geld aus der Zeit geblieben sei? „Gute Frage.“ Danach hätten die Rasch-Oberen wahrscheinlich versäumt, rechtzeitig genug umzusteuern. Daher habe es die Bramscher jetzt besonders hart getroffen.
 
Schwierig war die wirtschaftliche Lage von Rasch schon seit mindestens zwei Jahrzehnten. So gab es wiederholt Betriebsvereinbarungen in der Hoffnung, der Unternehmensleitung ein wenig Luft zu verschaffen. Die Tarifverträge für die Tapetenbranche hatten schon früh die Möglichkeit eingeräumt, bei nachgewiesener wirtschaftlicher Notlage die Arbeitszeit entweder ohne Bezahlung um bis zu fünf Stunden zu verlängern oder um bis zu drei Stunden zu verkürzen mit entsprechend gekürzten Löhnen. Bei Rasch ging es schon seit 2003 darum, die Arbeitszeit um knapp vier Stunden zu kürzen. Zuletzt allerdings wurde die tarifliche Arbeitszeit um eine gute Stunde verlängert.
 
Schritt zur Tarifflucht
 
Bis zum Oktober vergangenen Jahres galten für alle Rasch-Beschäftigten Tarifverträge, für Angestellte wie für die gewerblichen Arbeitnehmer*innen. Doch dann verließ die Geschäftsführung als letztes verbleibenes Mitglied den VDT (Verband der Deutschen Tapetenindustrie). Zwar muss Rasch für die aktuell Beschäftigten vorläufig weiterhin Tariflöhne zahlen – rechtlich „Nachwirkung“ genannt. Aber unter sicherem Tarifschutz stehen jetzt nur noch die Angestellten, die sich auf einen einschlägigen regionalen Vertrag von ver.di in Niedersachsen-Bremen berufen können. Auf Nachfrage versichert Rasch-Geschäftsführer Frederik Rasch immerhin: „Weitere Änderungen im Rahmen der Tarifbindung sehen wir aktuell nicht.“
 
Von den rund 100 Beschäftigten, die das Unternehmen jetzt verlassen, werden 67 in eine Transfergesellschaft wechseln. Dorthin begleitet sie die Hoffnung, innerhalb der Laufzeit von höchstens zwölf Monaten Unterstützung für eine neue Anstellung zu finden, berichtet Betriebsratsvorsitzender James Syrett. Zwei Dutzend Beschäftigte hätten schon vor Abschluss der Verhandlungen mit der Geschäftsleitung freiwillig das Unternehmen verlassen – mutmaßlich, weil sie schon eine neue Beschäftigung gefunden hätten. Auch habe es einige wenige Aufhebungsverträge gegeben.
 
Rettung in letzter Minute
 
Doch die Lage von Rasch sei so extrem schwierig gewesen, dass der Betriebsrat sich schließlich sogar gezwungen gesehen habe, einer Liste mit 96 Namen von Beschäftigten zuzustimmen, die ihren Arbeitsplatz ohne verlieren werden. Der Berater Thomas Meyer-Fries berichtet: „Erst in letzter Sekunde während der Verhandlungen ist bekannt geworden, dass die Rasch-Eignerfamilie eine Mehrheit des Unternehmens an die belgische Firma Wallhouse Fashion verkauft hat.“
 
Erst seit 2020 gibt es diese belgische Firma, gegründet nach eigener Darstellung von Down2Earth Capital (D2E) und GIMV. Das sind zwei Unternehmen, sogenannte Private-Equity-Gesellschaften, die bei Banken, Versicherungen, Pensionskassen und vermögenden Privatleuten Geld einsammeln, um es mit Gewinn in anderen Firmen anzulegen. Wer Geld einschießt, ist häufig nicht im einzelnen bekannt. Nur GIMV legt offen, dass an der eigenen Gesellschaft die Regierung der flämischen Provinz mit 25 Prozent beteiligt sei.
 
Schwierig durchschaubares Firmengeflecht
 
Laut Frederik Rasch ist Wallfashion House die gemeinsame Mutter von Grandeco und Rasch. Doch unter den 20 aufgelisteten Unternehmen, an denen Down2Earth Capital  beteiligt ist, taucht Wallfashion House nicht auf, aber Grandeco, dort mit dem Gründungsjahr 1978 als Tochter der Balta-Gruppe. Diese wiederum stellt sich als Teil des international aufgestellten Konzern Victoria plc mit Sitz in London vor.
 
Die zweite Investorengruppe führt unter ihren Beteiligungen neben Grandeco 60 weitere Firmen auf, aus sehr unterschiedlichen Branchen, von der Medizintechnik bis zur Firma La comtoise: „Lieferant von maßgeschneiderten Käseprodukten“. Letztlich hat es den Anschein, als landete Rasch als ein Punkt in einem schwer durchschaubarem Netzwerk von Unternehmen, die größtenteils nur in sehr eingeschränktem Maße verpflichtet sind, wirtschaftliche Daten zu veröffentlichen.
 
Eine Tradition geht zu Ende
 
Mit dem Verkauf von Mehrheitsanteilen verliert das Familienunternehmen Rasch seine Selbständigkeit. Diese reicht bis ins Jahr 1861 zurück. Seit mehr als 100 Jahren, so verkündet die Firma, sei Rasch international vernetzt. Sie hatte schon 1910 Designbüros in Paris, London Amsterdam, Kopenhagen und Vertretungen in Australien. Später entwarfen zum Beispiel Künstler des Bauhauses in Weimar bzw. Dessau Tapeten für Rasch. Das Bauhaus hatte den Anspruch, Handwerk und Kunst zusammenzuführen. Nach der im beginnenden Faschismus erzwungenen Selbstauflösung erwarb Rasch 1933 den Markennamen „Bauhaus“. Noch heute vertreibt das Unternehmen Tapeten unter dieser Bezeichnung.
 
Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten zu den bekannten Künstler*innen, die für Rasch arbeiteten, auch der eigenwillige Maler Salvador Dali, bekannt mit Gemälden mit zerlaufenden Uhren und Giraffen in Flammen. Zuletzt entwarf auch Barbara Becker, die frühere Gattin des Tennisspielers Boris Becker, Muster für Rasch. Aktuell verschickt Rasch nach eigenen Angaben Tapeten in 65 Länder und bietet bis zu 6000 unterschiedliche Tapetendesigns an. Tochterfirmen produzieren in Polen und in der Ukraine. Vertriebsgesellschaften gibt es in Großbritannien, Frankreich, Russland und China.
 
Folgen für die Stadt Bramsche
 
Nach dem Verkauf verbleiben noch 160 Mitarbeiter*innen im Unternehmen. Noch 2015 waren es etwa 750. Der aktuelle Einschnitt betrifft auch den Standort Bramsche. Für die Stadt mit ihren gut 30.000 Einwohner*innen sei der Verkauf des „großen Traditionsunternehmens äußerst emotional“, so sagt uns Bürgermeister Heiner Pahlmann (SPD). Viele Menschen seien mit dem Betrieb verbunden. „Wir haben schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Deshalb ist es zumindest eine gute Nachricht, dass ein Teil der Arbeitsplätze gesichert werden konnte.“