Fast 250 Streikende zogen Mitte Oktober vom Westermann-Bildungshaus in einer Demonstration zum zentralen Kohlmarkt in der Braunschweiger Innenstadt. Zwischenstation war am Verlagshaus der Braunschweiger Zeitung. Die Demonstrierenden machten erneut klar, dass sie nicht nachlassen werden, für Tarifverträge zu kämpfen.
Von Friedrich Siekmeier
„Ohne uns – kein Geschäft!“ schallt es vor der Braunschweiger Niederlassung des Handelskonzerns TK Maxx Holding laut aus knapp 250 Kehlen. Die Demonstrierenden wollen, dass der Konzern sich endlich bereit erklärt, Tarifverträge abzuschließen. „Noch erhalten hier Beschäftigte vier Euro pro Stunde weniger als in tarifgebundenen Betrieben,“ schimpft ver.di-Sekretär Marc Jäger. „Damit erreicht man im Alter nicht `mal eine vierstellige Monatsrente!“
Solidarität fachbereichsübergreifend
Moment `mal – ein Bericht über einen Tarifkonflikt im ver.di-Fachbereich Handel auf der drupa-Homepage? Ja, denn dieser Streik war besonders. Erstmals nach Erinnerung der beteiligten Gewerkschafter*innen sind Beschäftigte aus unterschiedlichen ver.di-Fachbereichen gemeinsam vor die Betriebe gezogen. Die Streikenden verbindet, dass sie Tarifverträge fordern; entweder den Neuabschluss ausgelaufener Verträge oder die Forderung, künftig überhaupt unter dem Schutz von Tarifverträgen arbeiten zu können.
„Wir haben uns im Braunschweiger Gewerkschaftshaus auf dem Flur darüber unterhalten, was aktuell ansteht,“ berichtet Orhan Sat, Sekretär für die Branchen Verlage, Druck, Papier und Industrie im Fachbereich A über Gespräche mit Marc Jäger aus dem Fachbereich D – Handel. Das war Ausgangspunkt der Idee, gemeinsam zu streiken. Eigentlich naheliegend: „Die einen lesen die Produkte der anderen, diese wiederum kaufen bei jenen ein,“ beschreibt Handelssekretär Jäger, was Einzelhandelskaufleute und Beschäftigte der Braunschweiger Zeitung und des Westermann-Bildungshauses verbindet.
Westermann: Seit 17 Jahren ohne Tarif
Die praktische Umsetzung begann Mitte Oktober morgens vor der Westermann-Zentrale, ein Stückchen außerhalb des Stadtzentrums. Wie wiederholt berichtet, fordern die Westermänner und -frauen, was sie den anderen Streikenden wie der übrigen Öffentlichkeit in knappster Form auf einem Transparent kundtun: „Wann, wenn nicht jetzt? Westermann: 17 Jahre ohne Tarif. Es reicht!“ Und deshalb verließen rund 40 Verlagsbeschäftigte ihre Schreibtische und streikten und demonstrierten.
Tarifverträge mit gesicherten Arbeitsbedingungen könnte sich die Westermann-Eignerin Medien Union aus Ludwigshafen schon leisten. Die Gründerfamilien um den Union-Geschäftsführer Thomas Schaub verfügen aktuell über ein Vermögen von 600 Millionen Euro, so aktuell die Wirtschaftszeitschrift manager magazin. Zur Medien Union gehören neben Fachverlagen und Druckereien auch Zeitungen (bei direkter wie indirekter Beteiligung) unter anderem in Stuttgart und Chemnitz sowie Anteile der Süddeutschen Zeitung in München. Mit insgesamt täglich 1,5 Millionen Exemplaren ist die Medien-Union die größte Tageszeitungsverlagsgruppe (Genaueres unter http://verdi-drupa.de/2022/12/04/medien-union/).
„In unseren Schulbüchern wird der Wert sozialer Gerechtigkeit hochgehalten,“ erinnern zwei Westermann-Vertreter*innen bei der Kundgebung aller Streikenden auf dem zentralen Kohlmarkt. Doch die Wirklichkeit sehe anders aus: andauernde Reallohnverluste für die Beschäftigten, ein undurchsichtiges Durcheinander von Bezahlung und Arbeitszeiten. Von den drei führenden Verlagen von Bildungsmedien in Deutschland (neben dem Braunschweiger Haus noch Klett in Stuttgart und Cornelsen in Berlin) ist Westermann der einzige Anbieter ohne Tarifbindung. Die Folge: „Wir haben eine hohe Fluktuation, müssen immer wieder neue Kollegen einarbeiten,“ klagt ein Redakteur. Und ein ehemaliger Westermann-Mitarbeiter, der inzwischen woanders einen gesicherten Arbeitsplatz gefunden hat, schließt an: „Damit schadet der Arbeitgeber nicht nur sich selbst. Er schadet auch der Region Braunschweig, weil so qualifiziertes Personal vertrieben wird.“ So leide in der Folge unter der Ablehnung von Tarifverträgen auch die regionale Wirtschaft.
Demo-Auftakt mit Beschäftigen von Westermann, Ikea und Primark
Von der Westermann-Zentrale zogen etwa 200 Streikende in den bekannten gelben ver.di-Streikhemden mit ihren Transparenten die knapp drei Kilometer bis an den Rand der Innenstadt. Denn vorm Bildungshaus hatten sich nicht nur Verlagsleute versammelt. Auch die Streikenden von Ikea Braunschweig und Primark begleiteten sie – eben eine gemeinsame Aktion der ver.di-Fachbereiche A und D. Erstes Ziel war der Sitz der Braunschweiger Zeitung. Deren Verlagsname prangt zwar noch über dem Haupteingang des Gebäudes. Doch schaut man genauer auf eine Orientierungstafel neben der Eingangstür, wird klar: Das Blatt ist Teil des Essener Medienkonzerns Funke.
Zu dessen Besitz zählen unter anderen Zeitungen in Essen, Hagen, Berlin, Hamburg und Erfurt; in der Summe ist das Unternehmen inzwischen der drittgrößte Zeitungskonzern in Deutschland. Daneben gehören Funke noch Zeitschriften (unter anderen Bild der Frau, Gong und Hörzu), lokale Radiosender und Onlinemedien. Die Ertragslage des Konzerns ist undurchsichtig. „Transparenz über den Konzern herzustellen, ist zu keiner Zeit eine Stärke des Unternehmens gewesen,“ beklagte schon vor einigen Jahren der führende deutsche Zeitungsforscher Horst Röper. Auch wenn 2021 wegen der Corona-Pandemie und eines Hackerangriffs ein schwieriges Wirtschaftsjahr war, steht in der Bilanz noch der Posten „Gewinnabführung“ mit 75,6 Millionen Euro (Vorjahr: 20,9 Millionen Euro).
Von Tarifen hat sich die Unternehmensgruppe weitgehend verabschiedet, sei es durch den Austritt aus Arbeitgeberverbänden, sei es durch die Ausgründung bestimmter Bereiche in eigenständige Firmen, dann jeweils ohne Tarifbindung. Und aus der Konzernspitze war zu vernehmen, man habe auch kein Interesse an Tarifverträgen.
Bislang nicht einmal Haustarifverträge bei der Braunschweiger Zeitung
Dementsprechend die Lage in Braunschweig. Von mehreren dort ansässigen Betrieben setzen sich aktuell schon drei für einen Haustarifvertrag ein: die Funke Services GmbH, die Funke Niedersachsen Services GmbH und die Funke Medien Niedersachsen GmbH. Am Streiktag fand zuvor bis zur Mittagszeit eine Betriebsversammlung statt. Doch die Braunschweiger Geschäftsleitung schloss „vorbeugend“ das Kunden-Servicecenter gleich für den ganzen Tag – ein erster kleiner Streikerfolg.
Die GmbH der Redaktion der Braunschweiger Zeitung ist bei der Auseinandersetzung bislang nicht dabei. Die dju (Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di) kritisiert, dass die Konkurrenzorganisation DJV gerade schiedlich-friedlich der Verlängerung des bundesweiten Tarifvertrages zugestimmt hat und damit die Vorbereitung eines Arbeitskampfes für einen besseren Vertrag sehr schwer macht. Allerdings verlautet von Kolleg*innen der dju aus Braunschweig, man sei schon im Kontakt mit Redakteur*innen in Hamburg und Berlin und wolle gemeinsam auch für die Redaktionsbereiche demnächst Haustarife anstreben.
Das wird – nicht nur für die Redaktionen – schwierig genug werden: Die Funke-Gruppe gilt „als Erfinderin der Preisdrückerei gegenüber Journalistinnen und Journalisten“, schreibt die Wirtschaftszeitschrift manager magazin in einem Porträt der Funke-Aufsichtsratsvorsitzenden Julia Funke. In der Liste des Magazins der 500 reichsten Deutschen wird ihr samt Geschwistern und Mutter der Besitz von 500 Millionen Euro nachgesagt. Die Familie der Ex-Verleger-Familie Martin Brost wird mit 800 Millionen gelistet.
Keine Tarife auch beim internationalen Handelskonzern TK Maxx
Tariflos von den Braunschweiger Streikenden aus dem Handelsbereich sind auch die Beschäftigen des Konzerns TK Maxx. Der versucht, Kund*innen mit dem Versprechen anzulocken, ein „Off-price-store“ zu sein, also die sonst üblichen Preise zu unterbieten. Das praktiziert das Unternehmen allerdings auch gegenüber jenen, die dem Konzern ihre Arbeitskraft verkaufen müssen – eben mit einer Bezahlung von 13 Euro, knapp über dem Mindestlohn und vier Euro unterhalb einer tariflichen Entlohnung: ein „Hungerlohn“, so berichten Beschäftige der Braunschweiger Niederlassung. Hier arbeiten fast 70 Menschen, zumeist in Teilzeit und unfreiwillig.
Angesichts der Stimmung im Betrieb möchten die Frauen namentlich nicht genannt werden, die von weitere Zumutungen neben der schlechten Bezahlung berichten: „Wir haben zu wenig Personal und müssen immer mehr Aufgaben übernehmen. Daher haben wir auch einen hohen Krankenstand.“ Leisten könnte sich die deutsche Tochter eines ursprünglichen US-Konzerns eine bessere, tariflich gesicherte schon. Die TK Maxx Holding hatte zuletzt – und das im Coronajahr 2021/22 – laut Bilanz einen Gewinn von 8,3 Millionen Euro.
Verweigerung beim Handelsverband
Dem Anschein nach stehen sich die anderen streikenden Beschäftigen aus dem ver.di-Fachbereich D besser, fallen sie doch unter den Geltungsbereich von regionalen Tarifverträgen des HDE – des Handelsverbandes Deutschland. Doch die Regelungen sind seit dem Mai dieses Jahres längst ausgelaufen. Neue Tarifabschlüsse verweigern die Landesverbände – nach mehr als 50 Verhandlungsrunden.
Der ver.di-Fachbereich D fordert in Niedersachsen für zwölf Monate 2,50 Euro mehr pro Stunde, eine 250 Euro höhere Ausbildungsvergütung und ein Mindesteinkommen von 13,50 Euro pro Stunde. Die Arbeitgebervereinigung HDE (der Handelsverband Deutschland) anerkennt mit Worten zwar eine „dringend benötigte finanzielle Entlastung“ der Einzelhandelsbeschäftigten. Doch praktisch verweigert der HDE genau die bislang. Stattdessen verhöhnt er die Beschäftigten mit der Empfehlung an seine Mitgliedsfirmen, freiwillig eine Anhebung der Gehälter von 5,3 Prozent zu „gewähren“ – ganz im Stil herrschaftlicher Hoheiten längst vergangener Jahrzehnte. Der niedersächsische Verband verwies zudem auf die Möglichkeit der Beschäftigten, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen.
Edeka: Schöne Worte – miese Praxis
Haupteinfluss bei den Verhandlungen in Niedersachsen hat der Edeka-Konzern, berichtet Handelssekretär Marc Jäger. Der Konzern weist im Jahresabschluss für 2021 einen Gewinn von knapp 172,4 Millionen Euro aus. Wolle Edeka längerfristig seine Ziele erreichen, heißt es im Unternehmensbericht von 2022, brauche man „qualifizierte Fachkräfte“, die angesichts „eines intensiven Wettbewerbs“ an das Unternehmen zu binden „eine dauerhafte Herausforderung“ sei. Wohl wahr angesichts eines Vorfalls vor zwei Jahren. Edeka nahm den damaligen Streik zum Anlass, Teilnehmer*innen am Arbeitskampf das Weihnachtsgeld zu kürzen – um bis zu 300 Euro. Edeka war mit diesem faktischen Streik-Bußgeld nicht allein. Auch Primark verfuhr ebenso.
Dank auch des Einflusses des Edeka-Konzerns hat der HDE bislang in Niedersachsen nach fünf Verhandlungsrunden nicht den Zusammenhang gesehen, den es zwischen guter Bezahlung und der Bereitschaft von Beschäftigen gibt, einem Unternehmen die Treue zu halten. „Treuepunkte“ gibt es in der Praxis bei Edeka schon, allerdings nur für Kund*innen (übrigens häufig eine „Verbraucherfalle“, wie der NDR in einer Verbrauchersendung urteilte).
Arbeitgeber mit zweifelhaftem Ruf
Bei der gemeinsamen Aktion der ver.di-Fachbereiche A und D in Braunschweig streikten Beschäftige weiterer Einzelhandelsunternehmen wie die von Sport Scheck. Darunter sind aber zum Teil Firmen mit zweifelhaftem Ruf: zum Beispiel H & M. Vor zwei Jahren hatte ver.di publik darüber berichtet, dass „an die Stelle fester Arbeitszeiten und fester Schichten Arbeitszeitmodelle treten sollten, die sich den verändernden Kundenwünschen anpassen, wie es die Geschäftsleitung formuliert. Das habe erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigten, die so Arbeit und Privatleben kaum unter einen Hut bringen könnten.“ Im Spiegel sprachen Betriebsräte von „Psychoterror gegen unbequeme Angestellte“.
Wegen Verstößen gegen Datenschutzbestimmungen kassierte 2020 H &M einen Bußgeldbescheid in Höhe von 35,3 Millionen Euro – Geld, das sicherlich besser für die Bezahlung von Beschäftigen eingesetzt worden wäre. Für Deutschland betrug das Betriebsergebnis des (sog. EBIT) 2020/21 übrigens 28,5 Millionen Euro. Die den internationalen Konzern bestimmende Eigentümerfamilie Stefan Perssons ist laut dem US-Magazin Forbes mit einem Vermögen von über 15 Milliarden Euro die reichste in Schweden.
Locker mit Geld gingen auch Führungskräfte von Kaufland um, allerdings nicht mit Blick auf den Datenschutz. Handels-Sekretär Marc Jäger berichtet, dass in der Vergangenheit Streikbrecher Briefumschläge mit 100 Euro erhalten hätten – was laut Rechtsprechung rechtswidrig ist. Doch die Gewerkschaft habe gegen diese Praxis nur zum Teil erfolgreich klagen können. Denn diese Streikbrecherprämien würden schon mal unter anderen Bezeichnungen verteilt. Damit sei eine rechtliche Grauzone entstanden. Nichtsdestoweniger: Auch Beschäftige von Kaufland aus dem benachbarten Salzgitter waren solidarisch vor die Tür gegangen und nach Braunschweig gekommen.
Kaufland gehört – wie auch der wahrscheinlich weltgrößte Discounter-Konzern Lidl – zur Schwarz-Gruppe. Inhaber Dieter Schwarz gilt dem manager magazin mit einem Vermögen von 39,5 Milliarden Euro als zweitreichster Deutscher und „Deutschlands geheimnisvollster Milliardär“, so der Sender ntv. Keine Interviews, nicht einmal ein aktuelles Foto von ihm gibt es.
Führt Geiz zu Milliardenvermögen?
Zum weltweiten Kreis der Milliardäre zählte bis zu seinem Tod 2018 auch Ingvar Kamrad. Stolz bezeichnete er selbst sich als „Geizhals und Schnäppchenjäger“. Während des Zweiten Weltkrieges war er in Schweden Mitglied einer faschistischen Partei. 1994 entschuldigte er sich dafür, womit für ihn der Fall erledigt war. Heute gehört Ikea einer Stiftung im Wert von geschätzt rund 36 Milliarden mit Sitz in den Niederlanden. Dort ist sie nicht verpflichtet, Wirtschaftszahlen zu veröffentlichen. Der ver.di-Handelsbereich nennt in einer Unternehmensanalyse für Deutschland bei einem Umsatz von deutlich über fünf Milliarden Euro einen Nettogewinn für 2019 von 1,81 Milliarden Euro (mehr unter https://handel.verdi.de/++file++5f74a5a3be360477a3f586c3/download/Unternehmensanalyse_IKEA2020.pdf).
Am Streikmittwoch sind in der Braunschweiger Niederlassung einige Abteilungen geschlossen: das Restaurant, „Småland“ - wie der Kinderbereich mit dem Bällebad genannt wird - ferner die Bereiche für Umtausch und Küchenplanung. Auf dem Kohlmarkt spricht auch jemand für die streikenden Ikea-Beschäftigten und freut sich über die vielen Mitstreiter*innen aus den anderen Betrieben: „Das zeigt, wie stark unsere Bewegung ist. Das zeigt, wie viele Menschen mehr Geld brauchen!“ Als Mittel gegen die Hinhaltetaktik des HDE weiß er gegebenenfalls auch eine passende Antwort: „Wenn das Angebot vom HDE nicht besser wird, wird das vielleicht nichts mit dem Weihnachtsgeschäft!“
Härtere Gangart bei Ikea: Streik für 14 Tage
Einen Vorgeschmack auf eine härtere Gangart gab`s schon für die Zeit der Schulferien in Niedersachsen bei Ikea. Gleich für die gesamte Dauer von 14 Tagen rief der ver.di-Fachbereich die Beschäftigten erneut zum Streik auf. Ferien seien für Ikea besonders gewinnbringende Tage, weiß die Ikea-Betriebsgruppe. Aber für die Beschäftigten brächten sie eine größere Arbeitsbelastung mit sich: „So geht es nicht weiter.“ Deshalb setze man in diesen Ferien mit dem Streik ein Zeichen.
Uwe Hamelmann, Gewerkschaftsaktivist bei Ikea und ehrenamtlicher Verhandlungsführer der Tarifkommission in Niedersachsen/Bremen, ergänzt: „Wir würden lieber arbeiten als streiken.“ Aber die schroffe Haltung der Arbeitgeber lasse den Beschäftigten keine Wahl: „Statt den finanziellen Schaden der Kolleginnen und Kollegen einigermaßen aufzufangen, sitzen die Unternehmen die Situation einfach aus. Gerne fahren sie mit uns Rekordumsätze und -gewinne ein, aber soziale Verantwortung möchte man lieber nicht übernehmen.“
Millionengewinne halten nicht vom Geizen bei Beschäftigen ab
Zum Kreis der Knauser, wenn`s um die Bezahlung der Beschäftigten geht, gehört auch der internationale Textildiscounter Primark. Nach ver.di-Informationen lag der Gewinn im Geschäftsjahr 2021 bei insgesamt umgerechnet etwa 371 Millionen. Und wie bei internationalen Konzern fast üblich: „Umsatz oder Gewinn für den deutschen Markt werden nicht veröffentlicht,“ heißt es in der ver.di-Unternehmensanalyse. Deshalb kann es nicht verwundern, dass auch die Braunschweiger Verkäufer*innen des Konzerns ihren Arbeitsplatz verließen, durchaus mit Erfolg: Am Streiktag blieben die Eingangstüren geschlossen – angeblich wegen technischer Probleme. Vor zwei Jahren nahm Primark in Hannover, wie schon angesprochen, den Streik zum Anlass, Teilnehmer*innen das Weihnachtsgeld zu kürzen.
„Natürlich muss auch `mal gestreikt werden.“
Dabei ist in Deutschland das Streikrecht durch das Grundgesetz geschützt. Daran erinnerten Kolleg*innen der Gewerkschaft NGG (Nahrung-Genuss-Gaststätten) auf dem Kohlmarkt mit einem einfallsreichen Transparent. Es zitierte den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt: „Natürlich muss auch `mal gestreikt werden. Alle diese deutschen Kleinbürger, die meinen, ein Streik sei ein Zeichen von Unordnung, die können mir den Buckel runterrutschen. Ein Land, in dem nicht gestreikt wird, ist keine Demokratie.“ In diesem Sinne hatte immerhin der SPD-Bundestagsabgeordnete Christos Pantazis – als einziger der angesprochenen Politiker*innen – eine Solidaritätsadresse geschickt und sich entschuldigt, dass er wegen der Sitzungswoche in Berlin nicht persönlich teilnehmen könne, wie er es in der Vergangenheit schon gemacht hatte.
Wie geht`s weiter? Marc Jäger vom Fachbereich Handel: „Das war heute ein guter Auftakt. Es war eine tolle Aktion, um Leute aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzuführen. Denn ver.di muss lernen, mehr zusammen zu machen.“ Und da Orhan Sat, sein Kollege aus dem Fachbereich A das nicht anders sieht, sind wohl ähnliche Aktionen zukünftig nicht auszuschließen. Das ver.di-Alphabet ist längst nicht ausbuchstabiert – vom Fachbereich A über B, C und D zu E.