Ohne Tarifvertrag müssen sowohl die Beschäftigten des Westermann-Bildungshauses wie auch die eines Dienstleisters der „Braunschweiger Zeitung“ arbeiten. Jetzt haben die Arbeitnehmer*innen mit einem Warnstreik ihre Forderungen bekräftigt und sind gemeinsam vors Rathaus gezogen.
Von Friedrich Siekmeier
„Nasenpolitik!“ schimpft Stefanie Klaus. Denn ihre Arbeitgeberin behandelt die Beschäftigten beim Inflationsausgleich völlig willkürlich, berichtet die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Klaus der Funke Medien Niedersachsen. Einigen habe die Geschäftsleitung einen Inflationsausgleich gezahlt. Aber nicht alle hätten gleich viel erhalten, und einige seien völlig leer ausgegangen – Nasenpolitik halt. Funke Medien Niedersachsen ist eine der Tochterfirmen des Funke-Medienkonzerns, zu dem auch die „Braunschweiger Zeitung“ gehört.
Unzufrieden sind die Beschäftigten in Braunschweig nicht nur wegen der Willkür beim Inflationsausgleich. Ihnen stinkt schon länger, dass für sie kein Tarifvertrag gilt. Deshalb hat eine ver.di-Betriebsgruppe seit vergangenem Herbst Mitglieder organisiert. Mit großem Erfolg: Inzwischen seien mehr als die Hälfte der rund 80 Angestellten Gewerkschaftsmitglied, so Stefanie Klaus. Mit dieser Basis im Rücken gingen die Beschäftigten schon im Herbst für eine „aktive Mittagspause“ vors Medienhaus der „Braunschweiger Zeitung“. Aber eben mit zwiespältigem Erfolg: Zahlung nach Nasenprämie, ohne Rechtsanspruch. Die Unzufriedenen steigerten ihre Aktionsform: Ende April gab es einen ersten, kurzen Warnstreik, weil die Arbeitgeberin zuvor Tarifverhandlungen abgelehnt hatte. Aber auch nach dem Warnstreik beharrte sie auf dieser sturen Haltung.
Tarifverträge als Ziel
Doch die Beschäftigten von Funke Services bleiben bei ihren Forderungen: Sie wollen endlich verbindliche Tarifverträge. Zum einen geht es für die Regelung der Arbeitsbedingungen um die Anerkennung des einschlägigen niedersächsischen Manteltarifvertrages. Zum anderen sollen die aktuellen Gehälter um 10,5 Prozent angehoben werden, mindestens jedoch um 500 Euro. Schließlich hat es seit 2018 keine Erhöhung gegeben. „Wir haben durch die hohen Inflationsraten heftige Reallohnkürzungen erfahren,“ begründet die betriebliche Tarifkommission die Forderung.
Für einen Warnstreik fühlten sich die Beschäftigten einer weiteren Tochterfirma aktuell noch nicht stark genug. Aber wenigstens beteiligten sich Angestellte der Funke Medien Niedersachsen in ihrer Mittagspause während des Warnstreiks ihrer Kolleg*innen der Firma Services an der Aktion vor dem Braunschweiger Rathaus. Dort trafen sie sich mit den Streikenden des Verlages Westermann Bildungsmedien. Die sind „streikerfahren“, kämpfen sie doch schon seit vier Jahren für die Tarifbindung des Unternehmens.
Schulbuchherstellung ohne Tarifbindung
Für die Versammlung vor dem Braunschweiger Rathaus hatten einige der Streikenden von Westermann eine Aktion mit Schulbüchern vorbereitet – Westermann ist einer der drei großen Schulbuchverlage in Deutschland, allerdings der einzige ohne Tarifverträge. Aufgeschlagen, wurde auf jeder Seite der mitgebrachten Schulbücher jeweils nur ein großer Buchstabe sichtbar. Zusammenhängend ergaben sie die Anklage: „Hergestellt ohne Tarifbindung !“ Ermutigt hat die Streikenden der Landtagsabgeordnete Stephan Bratmann. Er kennt den Westermann-Konzern von innen. Bevor er später ein Studium begann, hatte er eine Lehre in der Braunschweiger Druckerei gemacht. Inzwischen sitzt er für die SPD im niedersächsischen Landtag.
Die lange Dauer des Tarifkampfes bei Westermann seit 2018 hat keineswegs zu Ermüdung oder Frustration bei den Beschäftigten geführt. Im Gegenteil: In dieser Streikrunde haben sie gleich wieder für zwei Tage ihre Schreibtische verlassen. „Wir sind weiter hoch motiviert,“ berichtet ein Mitglied der Tarifkommission, das allerdings wegen der sturen Ablehnung von Tarifverträgen im Konzern namentlich nicht genannt werden möchte. Aber der Tarifpolitiker zeigt sich selbstbewusst und erst einmal zufrieden: „Es haben mehr Leute mit gestreikt als bei den vergangenen Aktionen.“
Botschaften an der obersten Chef
Zufällig (oder vielleicht auch nicht?) war am zweiten Streiktag Thomas Schaub in Braunschweig, der oberste Herrscher der Medien-Union, zu dessen Konzern auch die Westermann-Gruppe gehört. „Wir haben viel Krach gemacht!“, berichtet das Tarifkommissionsmitglied. Die Trillerpfeifen der Streikenden seien sicherlich auch im Konferenzraum zu hören gewesen, wo Schaub mit den Seinen getagt habe. Über Lautsprecher sei ihm übermittelt worden, warum die Beschäftigten `rausgegangen waren.
Vorher hatten sie nämlich Ergänzungen zu der Aussage gesammelt „Ich streike, weil...“ Und da kam einiges zusammen – einige Beispiele:
Um sicher sein zu können, dass die Streikgründe auch wirklich bei Thomas Schaub ankommen und nicht zum einen Ohr `rein und zum anderen `raus gehen, sollen die Begründungen Thomas Schaub auch noch per Brief zugestellt werden.
Vermögen
Reich geworden durch den früheren WAZ- bzw. Funke-Konzern sind nach Angaben des „Manager-Magazins“ (2022) die Familie Martin Brost (eine der Gründerpersonen) mit einem Vermögen von 800 Millionen Euro; die Geschwister (Enkel*innen des zweiten Konzernmitbegründers Jakob Funke) und aktuellen Aufsichtsratsmitglieder Julia Becker (Vorsitzende), Nora Marx und Niklas Jakob Wilcke verfügen gemeinsam über ein Vermögen von 450 Millionen Euro.
Die Westermann-Firmen in Braunschweig gehören zum Konzern Medien-Union. Deren Eigentümerfamilien Schaub, Lenk, Wipprecht, Resch und Nagel verfügen nach derselben Quelle über 600 Millionen Euro.
Die Schulbuchgruppe Westermann gehört zum Konzern Medien-Union. Diese ist ein vielfältig verschachtelter Konzern. In die zuletzt veröffentlichte Bilanz (2020) sind über 100 Firmen einbezogen. Der ausgewiesene Konzernjahresüberschuss betrug fast 34 Millionen Euro. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor, pauschal heißt es aber, 2021 habe die Medien-Union den „höchsten Gewinn“ (Statistisches Bundesamt) der vergangenen Jahre eingefahren.
Die Medien-Union ist beteiligt vor allem an Verlagen, Druckereien, Hörfunkbetreibern und Dienstleistungsunternehmen. Wichtigstes direktes Tochterunternehmen ist die Südwestdeutsche Medien Holding GmbH (SWMH) in Stuttgart. Unter deren Dach gibt es mindestens weitere 160 Unternehmen an über 30 Standorten mit über 5000 Mitarbeiter*innen. Über den Süddeutschen Verlag ist die Medien-Union zudem an einer Reihe von Fachverlagen beteiligt.
Mit 1,5 Millionen Exemplaren ist die Medien-Union größte Tageszeitungsverlagsgruppe in Deutschland. Direkt wie indirekt ist sie unter anderen beteiligt an:
Die Funke-Mediengruppe ist bei der Tagespresse mittlerweile der drittgrößte Konzern in Deutschland. Zu ihrem Einflussbereich (Allein- oder Mehrheitsbesitz oder großer Minderheitsgesellschafter) gehören mit einer Gesamtauflage von rund 850.000 Exemplaren unter anderem:
Dem Vernehmen nach tragen die Tageszeitungen fast zur Hälfte zum Konzernumsatz bei. Beteiligt ist Funke in Österreich an der „Krone“, der auflagenstärksten (Boulevard-)Zeitung, sowie am überregionalen „Kurier“.
Zum Funke-Konzern gehören weiter 29 Publikumszeitschriften (mit bis 14täglicher Erscheinungsweise) mit einem Marktanteil in Deutschland von 15,8 Prozent und einer Gesamtauflage von 4,63 Millionen Exemplaren und ist damit zweitgrößter Anbieter auf diesem Markt. Zu den auflagenstärksten Blättern gehören
Weitere Funke-Blätter mit Auflagen von 60.000 bis knapp 90.000 sind „Bild+Funk“, „Frau aktuell“ und „Frau von heute“. Weiter gibt es Titel, die seltener als 14täglich erscheinen, mit einer Gesamtauflage von 1,68 Millionen verkauften Heften. Bei den mehr als 25 Anzeigenblättern in Nordrhein-Westfalen verloren jüngst zehn von 18 Redakteur*innen ihren Arbeitsplatz.
Schließlich ist die Funke-Mediengruppe an einer Reihe von Lokalradios in Nordrhein-Westfalen beteiligt und zu ihren digitalen Angeboten gehören unter anderen Nachrichtenseiten, lokale Infoportale, Jobbörsen und Videoplattformen. Von den einstmals fünf Druckereien bestehen nur noch die in Hagen und Braunschweig; zuletzt schloss Funke die Druckerei in Erfurt (druck+papier berichtete), wodurch 270 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren.
Nach der zuletzt veröffentlichten Bilanz machte die Funke-Konzernmutter einen Umsatz von 1,120 Milliarden Euro, wies aber einen Verlust von 12,3 Millionen Euro aus. Allerdings: „Transparenz über den Konzern herzustellen, ist zu keiner Zeit eine Stärke des Unternehmens gewesen“, merkte der Zeitungsforscher Horst Röper in einer Konzernübersicht an. Letzte Zahl zur Umsatzrendite liegt von 2020 vor, als sie 15,6 Prozent betrug.