„Gute Arbeit: Auftrag und Herausforderung“

27.04.2024
Rege Diskussionen bei Gute Arbeit 2024

Gewerkschaften ver.di und IG Metall diskutierten psychische Belastungen und Mitbestimmung in den Betrieben im ver.di-Haus in Berlin

„Auftrag und Herausforderung für die Gewerkschaften heute und morgen“ hieß das Thema der Konferenz Gute Arbeit 2024. Aus ganz Deutschland waren Gewerkschaftsmitglieder von ver.di und IG Metall, viele mit Betriebs- und Personalratserfahrung, nach Berlin gekommen, um Möglichkeiten, Chancen und gute Beispiel zu diskutieren, um für ihre eigenen Betriebe Rückschlüsse ziehen zu können.

Mit vier positiven Beispielen begann der Tag, die zeigten, dass es zwar eine Menge Arbeit für die Initiator*innen bedeutet, eine Umfrage nach dem Modell vom DGB-Index Gute Arbeit in ihren Firmen durchzuführen, dass es aber auch erstaunlich positive Auswirkungen zeitigen kann. Mehr Kolleginnen und Kollegen waren etwa das Ergebnis der Umfrage zur Belastungsgefährdung bei der Energie Pensions Management GmbH (EON), die so schlecht ausfiel, dass sogar die Chefetage entsetzt war. Ein Belastungsmanagement für alle Mitarbeiter*innen gehört jetzt so selbstverständlich dazu wie die betriebliche Erste Hilfe, schilderte Kathrin Behrens das Ergebnis.

Für Andreas Krause aus dem Berliner Werk von Mercedes Benz bieten die Bücher und Schriften von Gute Arbeit eine Art Waffengleichheit mit Wissenschaftler*innen, die von der Unternehmensführung ins Spiel gebracht werden. Die besondere Aufmerksamkeit im Berliner Werk galt dem ständigen Geräuschpegel, den man nicht immer bemerke, der aber als ständiger Störfaktor für Konzentration und Gesundheit nicht zu vernachlässigen sei. Mit „Lärmampeln“ konnten sich die Kolleg*innen selbst beobachten und haben ihr Verhalten angepasst. Laut Krause gebe es inzwischen bei Mercedes Benz kaum noch einen Bereich, der nicht in dieser Weise organisiert sei.

 
Austausch vor Konferenzbeginn: Christian Wille (links) von Innovation und Gute Arbeit und mti-Beauftragter, mit Thomas Aulbur

Viele Eintritte durch Umfrage

Thomas Aulbur, viele Jahre Notfallsanitäter beim Deutschen Roten Kreuz und inzwischen Sekretär beim DGB Ostwestfalen-Lippe, hat die schlechten Arbeitsbedingungen der hauptamtlichen Retter*innen als Ausgangspunkt für die Umfrage genommen. Rund 7000 von ihnen haben ab der Umfrage zur Guten Arbeit teilgenommen. Die vielen Klagen über Wochenend- und Nachtdienste sowie zahlreiche Überstunden waren für Aulbur wenig überraschend, schon allerdings die große Zahl von ver.di-Eintritten, die von der Umfrage ausgelöst wurden. Geholfen habe die gute Öffentlichkeitsarbeit von ver.di, die Protestkundgebungen und Auftritte bei Verhandlungen. Sollte es nicht bald ein Ergebnis zur Arbeitszeit geben, sind die nächsten Proteste schon in Vorbereitung.

Von einer Herausforderung der besonderen Art, die künftig wohl häufiger vorkommen wird, berichtete Jan Giesemann von VW Salzgitter. Hier wird ein ganzer Betrieb von der Produktion von Verbrennermotoren auf Batteriezellen umgestellt. „Nach dem Abstieg von der Weltmarke zur Skandalfirma in nur drei Monaten“, wie es Giesemann erlebt hat, hatte der damalige CEO diese Transformation noch 2016 als „Blödsinn“ bezeichnet. Inzwischen ist sie in vollem Gang. Alle Kolleg*innen behalten ihren VW-Arbeitsvertrag und werden für die neuen Aufgaben mit Produktion in Masken und bei fünf Prozent Luftfeuchtigkeit geschult. Auch für den Betriebsrat bedeutet das eine Transformation mit neuen Themen zur Gefährdungsbeurteilung.

 
Frank Werneke bei Gute Arbeit 2024

„Gute Arbeit ist heute kein Nischenthema mehr“, unterstrich ver.di-Vorsitzender Frank Werneke, die Bedeutung des seit 30 Jahren dauernden Engagements. Der DGB-Index und die vielen Projekte hätten den Blick auf die Qualität von Dienstleistungsarbeit verändert. Und ein weiteres Ergebnis umriss Werneke so: „Wir wissen heute durch Index-Umfragen und Umfragen vor Tarifverhandlungen, wo der Schuh drückt.“ Mit dem Ergebnis der größeren Aktivierung der Beschäftigten für ihre Ziele.

Der Index Gute Arbeit habe aber auch gezeigt, dass Digitalisierung erst mal eine höhere Belastung bedeute, so Werneke. Für die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland könne eine erfolgreiche „Gute-Arbeit-Bewegung“ allerdings sogar zum positiven Standortfaktor werden.

Hans-Jürgen Urban von der IG Metall forderte mehr Gegenmacht gegen Arbeitgeberverbände und Lobbyisten, die „die Gunst der Stunde nutzen wollen“, um Standards zur Arbeitszeit und zum Gesundheitsschutz abzusenken. Dabei könne die Arbeitszeit zu einem „Scharnierthema“ werden in der Tarif- und Arbeitspolitik. Viele wollten weniger arbeiten, aber mit mehr Zeitsouveränität.

Mitbestimmung in den Vordergrund

Für Ulrich Brinkmann, Professor an der TU Darmstadt, muss das Thema Mitbestimmung in Forschungsprojekten wieder eine viel größere Rolle spielen. Zurzeit sei es nach seiner Beobachtung eher ein K.o.-Faktor bei entsprechenden Anträgen. Und Christoph Schmitz-Dethlefsen, Mitglied des ver.di-Bundesvorstands, fügte deshalb den „Drei Ds“, die Werneke aufgezählt hatte als entscheidende Faktoren für die Zukunft, nämlich Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demographie, noch ein viertes „D“ hinzu: Demokratie. Zentrale Aufgabe von Gewerkschaftsmitgliedern sei auch der Schutz der Kolleg*innen vor Hass, Ausgrenzung und Diskriminierung. Oder, wie es Jürgen Reusch, Moderator der Konferenz und langjähriger Redakteur des Jahrbuchs "Gute Arbeit", zusammenfasste: „Der Weg zur Guten Arbeit ist kein Spaziergang!“

Susanne Stracke-Neumann