„Virtuelle Betriebsratsarbeit muss die Ausnahme sein“

03.12.2020


Betriebsratssitzungen per Videokonferenz dürfen nicht zur Dauereinrichtung werden. Zu groß ist die Gefahr, dass Vertrauen verloren geht, Gespräche zu kurz kommen – und die Betriebsratsarbeit leidet.


Im Zuge der Covid-19-Pandemie wechseln nicht nur viele Beschäftigte ins Homeoffice, sondern auch Betriebsräte halten ihre Sitzungen virtuell per Videokonferenz ab. „Das muss die absolute Ausnahme sein“, betont die Leiterin des ver.di-Bereichs Mitbestimmung, Kerstin Jerchel, in Berlin. Sie warnt davor, leichtfertig dauerhaft auf virtuelle Sitzungen umzustellen. Damit einher geht ihrer Meinung nach eine große Gefahr für die Betriebsratsarbeit insgesamt. Das persönliche Gespräch – „face-to-face“ – sei für die Diskussionskultur und das Miteinander unersetzbar, sagt Jerchel.

Die Gewerkschafterin weist darauf hin, dass mit der virtuellen Betriebsratsarbeit viele Probleme und ungeklärte Fragen einhergehen. Zum einen, was die Sicherheit angeht. So schreibt das Betriebsverfassungsgesetz vor, dass Sitzungen nicht öffentlich sind. „Ich kenne technisch kein System, das wirklich datensicher ist“, sagt Jerchel. Auch wenn aktuell befristet eine Ausnahmeregelung gilt, so widersprechen virtuelle Sitzungen ihrer Meinung nach dem Grundsatz des Betriebsverfassungsgesetzes. Bei einem Treffen in einem Raum kann sichergestellt werden, dass niemand teilnimmt, der nicht eingeladen wurde, und Gespräche nicht aufzeichnet werden. Das sei bei Video- oder Telefonkonferenzen nicht möglich, betont die Bereichsleiterin. Die Betriebsratsmitglieder könnten dabei in der Bahn sitzen, im Café oder mit der Familie im Wohnzimmer. Die Gewerkschafterin verweist zudem auf praktische Probleme. Abseits der Großkonzerne gebe es viele Betriebsräte, die nicht über die technische Ausstattung verfügten. Viele hätten keine eigenen Laptops, sagt Jerchel. „Sie nehmen dann via WhatsApp-Anruf an der Sitzung teil.“

All diese Sicherheitsbedenken gefährden ihrer Meinung nach die Qualität der Betriebsratsarbeit. „Zumal die Systeme vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden, der diese verwaltet“, gibt die Bereichsleiterin zu Bedenken. „Dadurch kann Vertrauen zunichte gemacht werden.“ Das erschwere vor allem die Arbeit in Betrieben, in denen es zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung sehr konfliktreich zugehe.

Hinzu komme, dass die Interaktion für die Gremienarbeit enorm wichtig sei. Dabei böten Präsenzsitzungen viele Vorteile, vor allem was die Diskussionskultur angehe, sagt Jerchel. So könne die Sitzungsleitung viel besser einschätzen, ob noch alle zuhörten oder jemand eine Frage habe. Wer vom Typ her eher ruhig sei, werde in Diskussionen per Videokonferenz stärker zurückgedrängt, warnt die Gewerkschafterin. Zudem lasse die Konzentration bei virtuellen Sitzungen schnell nach. „Stundenlange Videokonferenzen mit vielen Tagesordnungspunkten strengen enorm an“, sagt Jerchel. „Auch die Pausengespräche fallen weg.“ Darunter leide das Miteinander.

Als Fazit empfiehlt Jerchel deshalb, unbedingt an Präsenzsitzungen festzuhalten, wenn die Regelungen zum Infektionsschutz dies zulassen. Vor allem, wenn geheime Wahlen anstehen. Die Bereichsleiterin sagt, dass es den Arbeitgebern durchaus gelegen komme, wenn sich die Betriebsratsarbeit in virtuelle Räume verlagere. „Die andere Seite hat daran jedoch ein eigenes Interesse“, so Jerchel. „Das sollte man im Auge behalten.“ Doch während der zweiten Welle der Pandemie zeichne sich bereits ab, dass der digitale Hype langsam abflache. Betriebsräte sehnten sich nach persönlichem Austausch, statt in ewigen Videokonferenzen miteinander zu sprechen.