Aspekte der Energiewende

27.08.2023
Müllverwertungsanlage Ingolstadt

Mitglieder aus dem Industriebereich im Süden diskutierten über Fernwärme, Photovoltaik, Solarthermie, Speicher und Elektromobilität

Mitglieder aus dem Industriebereich der ver.di-Fachgruppe Druck, Verlage, Papier und Industrie (DVPI) sowie Interessierte aus Bayern und Baden-Württemberg trafen sich zu ihrer traditionellen Klausur in Beilngries-Paulushofen. Auf dem Programm standen diesmal Energiewende und Ver- und Entsorgung.

Am Freitag informierte sich die Gruppe in der Müllverwertungsanlage Ingolstadt. Der Technische Betriebsleiter, Sebastian Gaul, erläuterte die Funktion und Leistung der Anlage. Eigentümer der Anlage ist der Zweckverband, dem die Stadt Ingolstadt und die Landkreise Eichstätt, Kelheim, Roth, Neuburg-Schrobenhausen, Pfaffenhofen mit 751.000 Einwohner angehören. Da auch Erding mit dem Münchener Flughafen und Garmisch ihren Müll hier entsorgen, betrifft es zirka eine Million Bürger mit 256.000 Tonnen Abfall im Jahr, die in drei Linien verbrannt werden. 50 Prozent des Abfalls ist Hausmüll, 36 Prozent ist Gewerbemüll. 13 Prozent des Mülls liefern Erding und Garmisch zu.

Kraft-Wärme-Kopplung

Die Anlage ist konzipiert zur Verbrennung von Haus- und Sperrmüll, Gewerbeabfällen und Klärschlamm. Mittels Kraft-Wärme-Kopplung wird Strom und Fernwärme erzeugt. Im Winterhalbjahr wird unter Volllast Fernwärme für umgerechnet 48.000 Haushalte erzeugt und rund 23.500 Haushalte werden mit Strom versorgt. Damit ist eine Einsparung von etwa 18 Millionen Tonnen Heizöl pro Jahr zu erzielen. Wobei die Fernwärmeerzeugung einen höheren Wirkungsgrad durch Verdampfungswärme hat und sinnvoller ist als die Stromerzeugung über Wasserdampf. 6.200 Tonnen Eisenschrott, 1.100 Tonnen Nichteisenmetalle sowie Zink aus dem Klärschlamm werden jedes Jahr zusätzlich gewonnen.

Die Abwärme wird zu der in unmittelbarer Nähe liegenden Kläranlage zur Klärschlammtrocknung genutzt. Eine umfangreiche Abgasreinigung, die weit über die vorgegebenen Grenzwerte hinaus geht, sorgt für saubere Abluft. Die Messdaten sind online verfügbar und werden im Analysenhaus erfasst. Ein Müllexport finde in Bayern nicht statt, heißt es. Die Müllgebühren konnten durch die Anlage von früher 250  Euro pro Tonne auf 90 Euro pro Tonne gesenkt werden.

Zum Zeitpunkt der Besichtigung wurde keine Fernwärme erzeugt, sondern 144 Megawatt (MW) Strom. In der Diskussion wurde bekannt, dass geplant sei, die Fernwärme von 48 MW auf 70 MW auszubauen. So soll der neu geplante Stadtteil Ingolstadt-Nordost und die Gemeinde Großmehring an das Fernwärmenetz angeschlossen werden. Eine Wasserstoffanlage sei derzeit kein Thema, dies würde sich nur bei überschüssigem Strom lohnen. In Planung sei jedoch ein Batteriespeicher zur Spitzenabdeckung und zum Anfahren der Anlage im Falle eines Blackouts. Weiter wird eine neue Steuerzentrale aufgebaut sowie eine neue Löschanlage installiert.

 
Tanja Haas erläutert den Energieverbrauch

Netzausbau und Speichertechnologie

Im zweiten Teil der Klausur erläuterte Tanja Haas aus dem Fachbereich Finanzdienste, Kommunikation und Technologie, Kultur, Ver- und Entsorgung und dem Betrieb N-Ergie Nürnberg, den Teilnehmer*innen die Ausgangslage unserer Energieversorgung in Deutschland anhand aktueller Zahlen aus 2022.

  • Energieverbrauch (2022): Industrie 29%, Haushalt 27,8%, Verkehr 27,1%, Gewerbe, Handel Dienstleistung 16%
  • Primärenergie (2022): Mineralöl 35,3%, Gas 23,6%, Erneuerbare Energie 17,2%, Braunkohle 10%, Steinkohle 9,8%, Kernenergie 3,2%.

Um dem Klimawandel entgegenzutreten hat die Bundesnetzagentur folgende Transformationsziele ausgegeben: Beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien, Planung einer langfristigen Kraftwerkstrategie, Unterstützung des Wasserstoffmarktes, Ermöglichung einer Nachfrageflexibilisierung zur Preisstabilität, Reform des Wärmemarktes (Haushalte) und des Verkehrs (PKW).

Tanja Haas nahm Bezug auf die aktuellen Probleme der Stromversorgung. So hatten wir im Dezember 2022 zwei Wochen Dunkelflaute, das heißt, viel Kraftwerkbetrieb und überdurchschnittliche CO2-Erzeugung. Dafür gab es im Jan 2023 viel Wind, es waren fast keine konventionellen Kraftwerke am Netz. Dies verdeutlicht, was fehlt: Speicherkapazität, und zwar in Form von kurz-, mittel-, und langfristige Speichern.

In ihrer Firma N-Ergie erlebt Haas derzeit den massiven Zubau von Photovoltaik-Anlagen, was zur Folge hat, dass Interessenten neun Monate auf einen Anschluss warten müssten. Der Ausbau von Windkraft ist dagegen eher moderat. Bis 2045 ist das Ziel Faktor 10 bei PV-Anlagen und Offshore-Windparks, sowie Faktor 3 bei Windkraft. Bis 2035 sei das Ziel, dass Verbrauch und Erzeugung ausgeglichen sind und für 2045 ist ein Überschuss geplant.

Dafür sind Milliarden für den Netzausbau erforderlich. Die Frage dabei ist, ob ein zentraler oder dezentraler Ansatz von Stromerzeugung und Verbrauch der richtige Weg ist. Bisher sind nur die Nord-Südtrassen im Blick der Öffentlichkeit. Genauso wichtig sei jedoch auch der regionale Netzausbau mit Leitungen und Trafostationen. Nur so lässt sich ein Ausgleich von Stadt (Bedarf) und Land (Überschuss mittels PV) bewältigen. Es muss die Steuerfähigkeit aller Netzstufen ausgebaut werden, dazu ein Energiemanagement der Ein- und Ausspeisungen sowie der Zubau von Großspeicher.

Verkehrs- und Wärmewende

Heinz Wraneschitz, Energieberater und Umweltjournalist aus dem Fachbereich in Mittelfranken, referierte zur Verkehrswende und verdeutlichte nochmals den politischen Plan, dass Nutzenergie künftig nur noch Strom sein solle.

Er fasste die Verkehrsdaten kurz zusammen:

  • 71,7% Straßenverkehr (davon 60,6% PKW, 27,1% Schwerlastverkehr, 11% leichte Nutzlasten)
  • 14% Schifffahrt
  • 13,4% Zivilluftfahrt

Bei einem PKW-Bestand 2021 in Deutschland von 45 Millionern Fahrzeugen waren 1,18 Millionen Plug-in-Autos und 0,62 reine Elektro-Autos. E-Fuel als Kraftstoff sei keine Lösung, so Wraneschitz, denn das sei in der Erzeugung technisch zu aufwendig. Bei der Batterietechnologie könnte der Weg in Richtung Natrium-Ionen-Batterie gehen. Antriebsmäßig gehe kein Weg am Batteriefahrzeug vorbei. Verkehrswende heißt in seinen Worten Reduzierung des Individualverkehrs und Ausbau des Öffentlichen Personen-Verkehrs.

Bei der Wärmewende sieht Wraneschitz unterschiedliche Wege für Stadt und Land. In der Stadt sollten der Ausbau des Fernwärmenetzes sowie Wärmepumpen bevorzugt werden, auf dem Land eher die Kombination von Wärmepumpe und Photovoltaik (PV), von Solarthermie und Holzheizungen. Und vielleicht gebe es ein Comeback der elektrischen Nachtspeicheröfen und elektrischen Flächenheizungen.

Er selbst rät beim Einfamilienhaus zu Solarthermie in Kombination mit Wärmepumpe und PV, dazu die Entwicklung PVT-Kollektoren, die Photovoltaik und Solarthermie verbinden. PVT-Module fangen das Licht der Sonne auf und wandeln es in Strom um, genauso wie PV-Anlagen. Anders als reine PV-Anlagen haben PVT-Anlagen aber eine eingebaute „Klimaanlage“: Auf der Rückseite der PVT-Module befinden sich Wärmetauscher (zum Beispiel eine Kupferleitung mit Kühlmittel), die die Wärme vom PVT-Modul ableitet und sie dem Heizkreislauf zuführt.

Ulrich Bareiß, DVPI und mti

https://www.mva-ingolstadt.de/

https://www.n-ergie.de/