"Mutig in eine neue Welt" unter diesem Motto stand der diesjährige Bayerische Ingenieuretag in München. In hochkarätig besetzten Vorträgen wurde gezeigt, wie sich der Klimawandel verschärft und der Bausektor in eine wirtschaftliche Krise kommt und welche Lösungsansätze möglich sind.
Professor Dr. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer Bau und zugleich auch im Bereich des Katastrophenschutzes forschend, begrüßte in der vollbesetzten Kongresshalle der Alten Messe die Gäste. Einleitend ging er gleich auf die Klimaveränderungen ein. In Bayern ist die Durchschnittstemperatur seit den Aufzeichnungen um zwei Grad gestiegen, und wenn nicht radikal gegengesteuert wird, kommen in den nächsten 20 Jahren nochmalszwei Grad dazu. Daher ist für ihn als Naturwissenschaftler die Hysterie in der Presse und Öffentlichkeit zum dem Schneechaos in Süddeutschland am ersten Advent und zu den folgenden Überschwemmungen unverständlich. Es waren vorhersehbare Ereignisse, nur der genaue Zeitpunkt ist jeweils offen. Der Klimawandel und seine Folgen können mit naturwissenschaftlichen Modellen abgebildet werden.
Die bayerische Staatsregierung habe klare Aussagen zum Klimaschutz getroffen und man will in Bayern bis 2040 klimaneutral sein. Laut Klimaforscher Professor Dr. Reinhard Sterner, Uni Regensburg, wird dieses Ziel, wenn der derzeitige Trend fortgeführt wird, in 230 Jahren erreicht und nicht in 16 Jahren! Gebbeken kritisierte daher scharf den mangelnden politischen Willen zur Umsetzung und prophezeite eine Völkerwanderung von einer Milliarde Menschen, deren Lebensraum verloren gehen werde. "Die Erde wird uns überleben!" Klimaschutz sei gleichzusetzen mit Frieden, Stabilität, globaler Konfliktvermeidung, prosperierender Wirtschaft und Wohlergehen.
Man kann trotzdem noch mutig in eine neue Welt schauen. Die Stahl- und Zementindustrie geht mit gutem Beispiel voran und will bis 2030 klimaneutral sein. Es gibt auch Kommunen, die mit der Klimaneutralität als Standort werben. Die Betontechnologie wird derzeit revolutioniert, zum Beispiel werden an der TU München Carbonfasern aus Algen produziert, die mehr CO2 speichern als freisetzen.
Katastrophenschutz in die Verfassung und strenges Monitoring der Klimaziele
20 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Höhe von 670 Milliarden Euro komme von der Bauindustrie und nicht von der Automobilindustrie, daher müsse die Bauwirtschaft gefördert werden und die Politik müsse verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, forderte Gebbeken. Dazu gehöre auch die Verankerung des Katastrophenschutzes in die Verfassung und ein halbjähriges quantitatives Monitoring zum Erreichen der Klimaziele. Er stellte die Frage, warum geht politisches Kalkül immer wieder vor Naturwissenschaft und Technik? Die Natur reagiere natürlich und Naturgesetze sind nicht verhandelbar. Daher sein Appell, wenn nicht die Ingenieure und Ingenieurinnen, wer soll sonst die Zukunft gestalten.
Dr. Thomas Gruber, Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr, sieht den Wohnungsbau auf Grund der gestiegenen Zinsen in der Krise. Die staatlichen Mittel für Hochbau und Wohnbauförderungen bewegen sich jedoch 2024 in gleicher Höhe wie 2023. Bezahlbarer Wohnraum soll durch Eindämmen von Normen, Fördermittel und mehr Effizienz am Bau erreicht werden. Er verglich dabei die Produktivitätssteigerung eines VW-Mitarbeiters (pro Fahrzeug) und der eines Maurers (pro Haus). Der digitale Bauantrag werde kundenseitig erst zu 40 Prozent genutzt. Die Bayerische Bauordnung soll insofern geändert werden, dass auch betriebsnahe Mitarbeiterwohnungen in Gewerbegebieten möglich sind sowie eine Verdichtung vorhandener Wohngebiete erlaubt wird.
Herausforderungen für unsere Wirtschaft
Professor Dr. Marcel Fratzscher, Vorsitzender des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin und Kolumnist bei Zeit Online, stellte in seinem sehr interessanten Referat die Frage: Wachstum um jeden Preis?
Wir stehen dabei vor drei Herausforderungen.
1. Die Exportstärke war die Grundlage unseres Wohlstandes, doch muss das Modell der globalen Abhängigkeiten überdacht werden.
2. Die ökologische und digitale Transformation fordert ein Umdenken von Unternehmen, wie können wir dabei unsere Stärke nutzen?
3. Die soziale Transformation funktioniert nur, wenn die Menschen mitgehen und bereit sind, Risiken mit einzugehen.
Als Wirtschaftswissenschaftler betrachtete er zunächst die derzeitige Ausgangssituation mit einem Ausblick in die Zukunft.
Er sieht die Realität der deutschen Wirtschaft deutlich besser als das Gefühl. Wir haben eine Rekordbeschäftigung und Fachkräftemangel. Die größte Gefahr drohe durch eine schlechte Stimmung, eine mentalen Depression und durch eine selbsterfüllende Erwartung. Der globale Handel gehe zurück. Deutschland sei härter getroffen und nicht der kranke Mann Europas. Das schwache Wachstum sei erklärbar und keine Krise. 50 Prozent unserer Wirtschaftsleistung sei der Export, dabei bestand die enorme Abhängigkeit von russischem Gas und Öl. Diese wirtschaftliche, globale Krise wurde gut gemeistert, meinte Fratzscher, und dürfte auch in den kommenden zwei Jahren nicht zum Problem werden, so seine Einschätzung. Die Abhängigkeit des Westens von China sei größer als von Russland. Eine Gefahr im globalen Wettbewerb sieht er in einer asymmetrischen Abhängigkeit der Volkswirtschaften von China, da bestehe die Gefahr der Erpressung. Hier müsse das Verhältnis symmetrischer gestaltet werden, viele Unternehmen verfolgen dabei recht erfolgreich die Strategie der Direktinvestitionen in China.
Ökologische Transformation zu langsam
Die ökologische Transformation verlaufe viel zu langsam und die wirtschaftlichen Kosten einer zu langsamen Transformation seien riesig. Da wir zu langsam seien, wurden die USA und Kanada führend bei KI und Green Technologie. Es werden Arbeitsplätze verloren gehen. Die Kosten des Green Deal bezifferte er auf zehn Billionen Euro in der EU, das Meiste getragen durch private Investitionen. Deutschland habe mittlerweile eine der schlechtesten digitalen Infrastruktur, etwa bei Glasfaser, 5G-Netz, digitale Verwaltung. Größte Hindernisse der Transformation seien bürokratische Hürden und Besitzstandswahrung. In den nächsten Jahren gingen fünf Millionen Menschen mehr in Rente als junge Arbeitskräfte nachkommen. Das sei ein spezielles Problem von Deutschland im Vergleich zu Europa. Als Lösung biete sich an, die Zuwanderung besser zu nutzen und erwerbstätige Frauen von Teilzeit in Vollzeit zu bringen. Dazu müsse aber auch die Bezahlung von Frauen besser werden und Kitaplätze zur Verfügung stehen.
Bei der sozialen Transformation müsse das Dreieck aus Wirtschaft, Nachhaltigkeit und sozialem Frieden zusammen betrachtet werden. Generell seien bei der sozialen Transformation Menschen mit geringem Einkommen stärker betroffen, sagte Fratzscher. Wenn 40 Prozent des Einkommens fürs Wohnen benötigt werde, werde Wohnen zur sozialen Frage. Die Baubranche schrumpfe dieses Jahr um 3,5 Prozent, was den Druck auf die Mieten weiter erhöhen werde. Durch die restriktive Geldpolitik sieht er jedoch nur eine langsame Zinsabwärtsbewegung. Trotzdem bestünde beim Verhältnis von Immobilienpreis zum Einkommen eine Blase, die nun platzen könnte.
Stärken Deutschlands
Zum Abschluss seines Referates hob er die Stärken Deutschlands nochmals hervor: Wir haben einen guten Rechtsstaat, eine langfristig orientierte Wirtschaftsstruktur, sowie Solidarität und Gemeinschaft als gesellschaftlichen Konsens. Die Transformation sei schwierig, Fratzscher hat die Hoffnung, dass wir in zehn Jahren sagen können, dass wir es geschafft haben.
Zukunft der städtischen Mobilität
Die Zukunft der städtischen Mobilität stand bei dem Zukunftsforscher Dr. Stefan Carsten im Mittelpunkt. Die Zukunft ist dabei Perspektive und Methode, um gegenwärtige Stadt-, Mobilitäts- und Lebenswelten zu hinterfragen und aufzudecken. Dies geschieht vor dem Ziel, mit Hilfe von Zukunftsforschung und -beratung eine bessere, weil zukunftsfähige Gesellschaft zu gestalten.
Die Mobilität ändere sich jedoch nicht mit dem „Fingerzeig“, sondern mit attraktiven Angeboten, so Carsten. Für die mobile Gesellschaft seien Flexibilität (64%), Unabhängigkeit (58%) und Freiheit (54%) die wichtigsten Faktoren. Am Beispiel Hamburg wurde erläutert, wie für die Verkehrswende eine Raumwende benötigt werde. Die Verkehrswende werde 2030 dann so aussehen: 20 Prozent Individualverkehr, 30 Prozent ÖPNV, 27 Prozent Fahrrad, 23 Prozent zu Fuß. Dementsprechend werde der jeweilige Anteil an Wegen gefordert.
Zudem gelten durch die Veränderungen in der Arbeitswelt andere Regeln und Räume, erklärte Carsten In Rotterdam, Wien oder Stockholm entstehen neue Wohnorte, die gleichzeitig auch Arbeitsorte sind. Ohne Straßen, ohne Parkplätze (sind zehn Prozent der Baukosten), aber mit viel Fläche zum Einkaufen, Spielen und Zusammentreffen. Der erste Stock des Supermarktes sei beispielsweise eine Gärtnerei, der seine Waren im Erdgeschoss verkauft. Die Beschäftigten verlangten keinen Dienstwagen mehr, sondern ein flexibles Mobilitätsangebot. Die Tankstelle sei ein Auslaufmodell, zukünftig vielleicht eine Logistikstation, Dienstleistungsanbieter, Supermarkt oder Ladestelle.
Feststoffbatterie als Zukunft
Die Zukunft wird die Feststoffbatterie mit 1.000 km Reichweite und fünf bis sechs Minuten Ladezeit sein. Den Weg in die Zukunft sieht er in überwiegend autofreien Wohnvierteln mit 24/-Verfügbarkeit im Öffentlichen Personenverkehr und Carsharing. Für dieses Konzept der "Metamobility" sieht Carsten die Bau- und Immobilienwirtschaft als Dreh- und Angelpunkt der Mobilitätswende. Es werden neue Lösungen statt alten Antworten für die Zukunft gesucht. "Metamobility" werde Teil des Wirtschafts- und Gesellschaftmodells. Metamobilität ist eine für den Menschen durch Mischung von Technologien ermöglichte, erweiterte Erreichbarkeit der Welt. Es würden virtuelle und reale Umgebungen miteinander verschmelzen.
Ein nachhaltiges Unternehmen – das Beispiel VAUDE
Per Livestream war dann Antje von Dewitz, CEO VAUDE, mit ihrem sehr erfrischenden Referat „Transformation zum nachhaltigen Unternehmen – Chance und Herausforderung“ zu Gast. VAUDE ist ein Hersteller von Outdoorkleidung und Fahrradkleidung und macht am Standort Tettnang mit 650 Mitarbeitern 150 Millionen Umsatz im Jahr. Nachdem sie das Unternehmen von ihrem Vater übernommen hat, baute sie es ab 2008 um. Nachhaltigkeit, so ihr Credo, soll nicht von oben herab verordnet werden, sondern erlebbar sein und Spaß machen. Mit dem Ziel des kleinstmöglichen Fußabdrucks und der größtmöglichen Lebensqualität, ist die Firma seit 2011 klimaneutral. Selbst in der Firmenkantine werden nur regionale Bioprodukte angeboten.
Der Mensch stehe im Mittelpunkt, daher ist die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für VAUDE wichtig, so von Dewitz. Dazu gebe es einen firmennahen Wohnpark, ein VAUDE-Kinderhaus, eine 40-Prozent-Teilzeitquote und Teilzeit für Führungskräfte. 45 Prozent der Frauen sind in Führungspositionen tätig. Geprägt wird das Unternehmen von einer Vertrauenskultur und Selbstwirksamkeit.
Hohe Anforderungen an die Lieferkette
Die Umstellung der Materialien war für VAUDE der schwierigste Prozess zur Nachhaltigkeit. Nachhaltige Ziele seien im Unternehmen den wirtschaftlichen Zielen gleichgestellt. Die Anforderungen an die Lieferkette seien sehr hoch. Faire Arbeitsbedingungen, Materialeffizienz, Reparierbarkeit, Recyclebarkeit und noch "50% biobased/recycled" waren die Herausforderungen für die Produktmanager*innen. Dazu wurde mit den Lieferanten auf Augenhöhe verhandelt. Sie wurden nach Tettnang eingeladen und von der Geschäftsidee überzeugt. Mittlerweile sei Nachhaltigkeit ein Innovationstreiber und neue Geschäftsfelder wie Mieten, Second Hand und Reparieren anstelle von Wegwerfen kämen hinzu. VAUDE arbeitet mit Wettbewerbern zusammen und über die VAUDE-Academy werde das Firmenwissen weitergegeben. Der nächste Schritt sei der Weg in die Kreislaufwirtschaft, dazu müssen eingesetzte Materialien umgestellt werden. Als Beispiel: Aus Altreifen werde etwa Funktionskleidung hergestellt.
Ulrich Bareiß (mti Ingolstadt) mit dankenswerter Unterstützung von Christian Humburg (mti München)
https://bayika.de/de/ingenieuretag/rueckblick_ingenieuretag-2024.php
Der Bayerische Ingenieuretag ist das größte Branchentreffen in Bayern. Mit dem diesjährigen Motto „Mutig in eine neue Welt“ wurde der Nerv der Zeit getroffen. Neben dem Aufzeigen der Schwierigkeiten und der derzeitigen Situation ist es Norbert Gebbeken und den Referent*innen gelungen einen positiven Ausblick auf die Zukunft zu geben. Dieser Optimismus, verbunden mit gesellschaftlichem Zusammenhalt ist wichtig, um unseren Wohlstand zu erhalten. Auch die Gewerkschaften sind aufgefordert, den Weg in die Klimaneutralität und zur Nachhaltigkeit mitzugestalten.
ub
Optimismus tut not
Der Bayerische Ingenieuretag ist das größte Branchentreffen in Bayern. Mit dem diesjährigen Motto „Mutig in eine neue Welt“ wurde der Nerv der Zeit getroffen. Neben dem Aufzeigen der Schwierigkeiten und der derzeitigen Situation ist es Norbert Gebbeken und den Referent*innen gelungen einen positiven Ausblick auf die Zukunft zu geben. Dieser Optimismus, verbunden mit gesellschaftlichem Zusammenhalt ist wichtig, um unseren Wohlstand zu erhalten. Auch die Gewerkschaften sind aufgefordert, den Weg in die Klimaneutralität und zur Nachhaltigkeit mitzugestalten.
ub