Mobilität der Zukunft

03.12.2020
Forum in Nürnberg zur Verkehrspolitik

Forum „Mobilität der Zukunft – Mobilität für Bürger“: Neue Perspektiven für Industrie, Verkehrsvernetzung und Tarifverhandlungen - ver.di fordert ÖPNV-Gipfel
Die Mobilität der Zukunft ist ein Thema, das viele ver.di-Mitglieder aus unterschiedlichen Fachbereichen und Gruppierungen interessiert. Wegen Corona-Hygienemaßnahmen war allerdings die Zahl der Interessierten, die am 17. Oktober am mti/AIN-Forum in Nürnberg teilnehmen konnten, sehr begrenzt. Mobilität und Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) betreffen nicht nur Beweglichkeit, Daseinsvorsorge, produzierende Industrie und Klimaschutz, sondern derzeit auch massiv die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Entsprechend zweigeteilt war auch die Perspektive im Caritas-Pirckheimer-Haus in der Nürnberger Altstadt

 
Ulrich Bareiß

Für die Personengruppe Meister*innen, Techniker*innen, Ingenieur*innen (mti) und die Fachgruppe Industrie/Industrielle Dienstleistungen im Fachbereich Medien, Kunst und Industrie, in denen sich zum Teil dieselben Personen engagieren, erklärte Ulrich Bareiß als Organisator des Forums zu den Gründen für die Themenwahl: „Wir sind technisch fokussiert.“ In der Fachgruppe Industrie und beim mti „haben wir uns die Verkehrswende und die Auswirkungen auf uns Bürger und Beschäftigte als Thema gesetzt. In unserer ersten Veranstaltung wollen wir dazu erfahren, wie die Welt in ver.di dazu tickt und welche Rahmenbedingungen dabei sich auftun.“

Bareiß als ehemaliger Entwicklungsingenieur und Betriebsrat bei Audi widmete sich zuerst dem Individualverkehr und betrachtete die Autoindustrie und ihre Zulieferer und deren Situation in einer Phase der Umstellung auf elektrische Autos und Räder. Seit 2015 kämpft die deutsche Autoindustrie gegen die Folgen des selbstverschuldeten Imageschadens durch den Dieselskandal, gegen hohe Aufwendungen als Folge der Täuschung - beim VW-Konzern  schätzt man die Strafen und den Schadensersatz bisher auf rund 50 Milliarden Euro – und die verschlafene Umstellung auf neue Antriebe. Schon 2019 hatte die Automobilindustrie in Deutschland ein Minus von elf Prozent zu verzeichnen, im ersten Halbjahr 2020 sanken die Produktionszahlen zwischen 20 und 30 Prozent, die Neuzulassungen um 34 Prozent. Arbeitsplatzabbau droht oder ist schon angekündigt.

 
Ladesäule am Straßenrand

Eine Neuorientierung bei Autobauern in Richtung Software und E-Mobilität und bei Zulieferern generell ist nötig. Das ist vor allem für die Zulieferer mit oft geringen Kapitaldecken und Gewinnspannen schwierig. Für die E-Auto-Industrie ist der Knackpunkt der Aufbau der Lade-Infrastruktur. Dass die Lage hier allerdings schon besser ist als oft vermutet, erklärten im Forum E-Auto-erfahrene ver.di-Mitglieder aus dem Publikum.

„Das Fahrrad ist Gewinner der Pandemie und war schon vorher auf der Überholspur“, sagte Bareiß. Vor allem E-Bikes und die schnelleren Pedelecs boomen. Sie scheinen auch eine der Möglichkeiten für frühere Zulieferer der Autoindustrie zu sein. 2019 stieg der Absatz von Rädern um 34 Prozent, 2020 steigen die Zahlen, vor allem für E-Bikes, weiter, Vorbestellungen reichen schon bis 2021. Und dabei sei das Rad „unschlagbar effizient“: individuell, wenig Flächenverbrauch, keine Schadstoffe, kein Lärm, bringe Bewegung und ist bei Arbeitnehmern für die Entfernungspauschale anrechenbar. Laut Forschungsprojekt „RadLast“, so Bareiß, könne in München 20 bis 30 Prozent des wegen Online-Bestellungen wachsenden Paketverkehrs über Lastenräder ausgeliefert werden (Prinzip der letzten Meile). Diese seien auch für Handwerker interessant.

„Die Zukunft der Mobilität liegt in der Vernetzung aller Verkehrsmittel“, so Bareiß. Vielleicht in einer App, die empfiehlt, ob Auto oder Fahrrad besser ist, eine digitale Mitfahrbörse beim PKW bietet, mit dem ÖPNV verbunden ist und durch die auch alle Rechnungen für Mobilität beglichen werden können.

 
Thomas Gehringer, ver.di-Experte für Verkehrspolitik

Den „Klimaschutz und die Zukunft der Mobilität in Deutschland“ aus ver.di-Sicht referierte Thomas Gehringer aus dem ver.di-Bundesfachbereich Verkehr, der sich als Verkehrsexperte auch schon im Bundestag und bei der Deutschen Verkehrswacht mit dem Thema Mobilität und Klima befasst hat. Das ver.di-Leitbild für den richtigen Transformationsprozess dabei ist eine nachhaltige Mobilität, die gleichrangig die medizinischen, sozialen, wirtschaftlichen, qualitätsbezogenen und ökologischen Dimensionen für Beschäftigte, Fahrgäste und Passagiere sowie Mobilitätsunternehmen in der Luft, auf See und auf oder unter dem Boden berücksichtigt.

Durch die Corona-Pandemie drohen Teilen der Mobilitäts- und Reisebranche die Insolvenz, Bereiche sind bis zu 100 Prozent in Kurzarbeit, rund 820.000 Arbeitsplätze sind laut Bundesagentur verloren gegangen. Eine vollständige Erholung des Verkehrs ist nicht zu erwarten, auch wegen der Weiterführung von Online-Konferenzen, Homeoffice und sinkender Reiselust. Positive Zahlen werden eigentlich nur beim Schiffs-Güterverkehr erwartet. Fahrgastverluste hat in der Krise auch der ÖPNV, weil viele, wenn möglich, aus Sicherheitsgründen auf Auto, Fahrrad oder Laufen umgestiegen sind.

 
ÖPNV braucht Zukunft

Für die Zukunft ist der Ausbau eines flächendeckenden ÖPNVs auch auf dem Land aus demographischen Gründen wichtig. Die bessere Vernetzung von Verkehrsmitteln und eine neue Verteilung des Platzes in den Großstädten stehen auf der Agenda. Gleichzeitig hat der Klimawandel mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekommen, so dass Verfechter und Beschäftigte des ÖPNV sich hier Hand in Hand finden mit den Naturschützern und Jugendkampagnen wie „Fridays for Future“.

Dass dies auch während der Tarifauseinandersetzungen gelten wird, hatte sich schon Anfang September in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ver.di angekündigt. „Industrie-Report/mti-Info“ hatte darüber Anfang Oktober ebenfalls berichtet.

 
Katharina Wagner von ver.di Bayern

Über diese erfolgreiche und „inspirierende“ Zusammenarbeit berichteten auch Katharina Wagner von ver.di Bayern und Beschäftigte des ÖPNV im Nürnberger Raum. Dazu wurde auch eine eigene bundesweite ver.di-Seite „ÖPNV braucht Zukunft“ aufgebaut:

Das öffentliche Verkehrswesen kämpft heute bundesweit mit den Folgen der Öffnung des ÖPNVs für den EU-Wettbewerb, der Ausgründungen, Privatisierungen, Sparrunden, Einstellungsstopps und Arbeitsverdichtung zur Folge hatte. Es fällt schwer, bei den daraus entstandenen Arbeitsbedingungen den dringend benötigten Nachwuchs für diese Branche zu rekrutieren. Dabei steigen die Fahrgastzahlen und sollen politisch gewollt im Sinne des Klimaschutzes durch mehr Attraktivität des ÖPNVs noch weiter steigen. Deshalb ist der ver.di-Ansatz für die Tarifverhandlungen im öffentlichen Nahverkehr dieses Mal auch ein bundesweiter, was die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) bislang noch ablehnt.

Um eine wirkliche Verkehrswende und vereinbarte Klimaziele zu erreichen, fordern ver.di und Kooperationspartner von der Bundespolitik deshalb, endlich einen „ÖPNV-Gipfel“ zu veranstalten.

Mehr zum Thema in der nächsten Ausgabe von „Industrie-Report/mti-Info“.

Susanne Stracke-Neumann

Mehr zu den Themen Verkehrswende, E-Mobilität, neue Antriebe, Produktion und Digitalisierung in unseren Ausgaben von Industrie-Report/mti-Info: [Link]

 

Industrie-Report/mti-Info 10/2020

Industriereport
© ver.di/einsatz, Wolfgang Wohlers

Presse-Echo


Die vergessene Verkehrspolitik, von Heinz Wraneschitz, Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie dgs.de, 23.10.2020

Ebenfalls erschienen in der Printausgabe der Bayerischen Staatszeitung am 6.11.2020