Frauen zu fördern und Netzwerke zu schaffen stand im Mittelpunkt der #100TechFrauen-Konferenz im Munich Urban Colab, die mit über 250 Anmeldungen eine große Resonanz erfuhr. Kira Mars vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung München (ISF) begrüßte die Teilnehmer*innen aus Industrie und IT-Branche, von Hochschulen und Gewerkschaften. Neue Chancen für Frauen durch die Digitalisierung standen im Mittelpunkt.
Für Christine Regitz (Präsidentin der Gesellschaft für Informatik und Vice President, Head of SAP Women in Tech der SAP SE) ist der Schlüssel für die Zukunft die schulische Bildung, wo Grundkompetenzen der informatischen Bildung als Technische Kompetenz (Programmlogik) und Anwendungskompetenz (Software), sowie kulturelle Werte vermittelt werden sollen.
In ihrer Keynote „Die Zukunft der Arbeitswelt im Zeitalter von KI: Perspektiven und Chancen für Frauen” berichtete Eva Zauke (Executive Vice President SAP Enterprise Adoption und Engineering Location Lead für SAP Labs Walldorf und Rot), dass SAP mittlerweile einen Frauenanteil von 30 Prozent der Beschäftigten habe. Der Frauenanteil in MINT-Berufen (Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften, Technik) liege bei 28 Prozent und sei seit Jahren praktisch unverändert. Für die Arbeitswelt im Zeitalter der KI stellte Zauke drei Thesen auf.
These 1: Unternehmen brauchen KI, sie schaffe eine Wertschöpfung von 2,6 – 4,4 Billionen Dollar jährlich. Die Zukunft der Arbeit im Zeitalter von KI sei durch Effizienz, neue Berufsfelder, neue benötigte Kompetenzen und der Frage nach ethnischer Gestaltung geprägt.
These 2: KI braucht Frauen. Nachgewiesenermaßen lieferten gemischte Teams bessere Ergebnisse, geschlechterspezifische Verzerrungen in den Algorithmen werden vermieden und die europäische Talentlücke kann durch Frauen geschlossen werden.
These 3: Frauen brauchen KI. Durch KI gestützte Personal (HR)-Systeme könne die Fairness und Gleichbehandlung gefördert werden. KI schaffe neue Berufsfelder, wie z.B. den KI Prompt Engineer, Spezialist für KI-Ethik und Governance, wo Frauen gute Chancen haben.
Marina Ribke (Vice President of Enterprise Architecture Management & Governance bei Exyte Management GmbH), stellte in ihrem Referat „Wir bauen Organisationen: Unternehmensarchitektur neu denken“ dar, wie modere Unternehmen sich strukturieren. Die Softwarestrukturen des Produktes stellen die Struktur des Unternehmens dar. Nicht die Technologie stehe im Vordergrund, sondern die technische Kultur und Organisation Es gliedere sich wie folgt auf: 20 Prozent Plattform und Technologie, 40 Prozent Prozess und Daten, 40 Prozent People und Culture.
Anja Bultemeier (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) präsentierte die Forschungsergebnisse zu #100TechFrauen: „Neue Möglichkeitsräume für Frauen in der digitalen Arbeitswelt“. Die Tech-Ökonomie basiere auf dem Internet und den Möglichkeiten über Daten und Informationen die Welt zu erschließen, der „Informationsraum“ als neue soziale Handlungsebene. Dieser Informationsraum führe zu weitreichenden Veränderungen in den Unternehmen und biete neue Möglichkeitsräume für Frauen. Es gehe nicht mehr um die Technik an sich, sondern um die Interaktion zwischen Mensch und Technik, die Einbettung der Technik in den Kundennutzen. Dabei spiele auch die Öffnung der technischen Bereiche für neue Professionen jenseits von MINT eine Rolle. Nicht-Technikerinnen übernehmen fachliche Leitung und werden Expertinnen mit Blick auf Kundennutzten und kundenbasierte Entwicklungsprozesse.
Agile Arbeitskulturen seien zentrale Türöffner für eine nachhaltige Verbesserung der Entwicklungschancen für Frauen, da agile Arbeitskulturen die Hierachieebenen brechen. Flexible Raumzeiten, der digitale Arbeitsplatz, verbessere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, denn das Normalarbeitsverhältnis wirkt für Frauen restriktiv. 50 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit, bei den Müttern sind es 67 Prozent.
Bultemeier räumte allerdings zum Schluss ein, das die Möglichkeiten kein Selbstläufer sind, der Weg in die Tech-Ökonomie politisch umkämpft ist und auch ein Rollback ins Traditionelle möglich sei.
Fünf innovative Frauen – Fünf innovative Perspektiven auf die Tech-Ökonomie
Anschließend berichteten fünf Frauen als „fünf Mutmacherinnen“ von ihrem beruflichen Werdegang zur Führungskraft im technischen Bereich.
Eva Bacon (Senior Programm Managerin bei Google) ist keine Technikerin, sie stellt Teams zusammen. Ihre Kompetenz ist, zwischen den Teams zu moderieren und mit guten technischen Mitarbeitern zusammenzuarbeiten. Gerade die KI erfordert ständige Weiterbildung.
Dr. Sarah Mang-Schäfer (Head of Enterprise Project & Portfolio Management – Public Cloud Engineering bei SAP), hat erst Kunst studiert, dann Informatik. Das passe gut zusammen, denn zum Lösen von Problemen brauche es Kreastivität. Ihr technischer Hintergrund helfe bei Gesprächen mit Softwarearchitekten, sei aber nicht zwingend erforderlich. Ihre 170 Mitarbeiter sind weltweit verstreut, daher sind kulturelle Besonderheiten zu beachten.
Ulrike Messmer (Scrum of Scrum of Scrums Master bei Atruvia AG) kommt aus der Softwareentwicklung und kennt die Prozesse. Sie unterstützt die Teams bei ihrer Arbeit und hat die Macht, Dinge zu verändern.
Fiona Taylor (Leiterin Produktionsstrategie bei BSH Hausgeräte GmbH) ist studierte Chemikerin. Sie berichtete von den Schwierigkeiten nach der Geburt ihres Kindes Karriere zu machen, dabei habe sich ihre Hartnäckigkeit ausgezahlt.
Anja Schneider (Global Head of Premium Engagement & Advisory, Customer Services & Delivery bei SAP) hat Verwaltungswirtschaft studiert und war Beamtin. Durch ein Unternehmenspraktikum ist sie zu SAP gekommen und hat als Anwältin der Kunden in der Entwicklung gearbeitet. Nach der Geburt ihres Kindes ist sie als Managerin in Teilzeit gegangen. Wichtig in ihrem Job sei gestalten zu können, Verantwortung zu übernehmen, neues Lernen und das Zutrauen, es umzusetzen.
Best Practice Unternehmen: Wo ansetzen & wie vorgehen?
Hier berichten vier Firmenvertreter*innen, wie sie Frauen in Führungspositionen fördern und bessere Berufsmöglichkeiten bieten.
„Myth-Busting: „Wir brauchen Zahlen, Daten und Fakten, um mit Mythen aufzuräumen und Verbündete zu gewinnen.“ Damit hat Jacquiline Harvey (Vertriebsleiterin für China und Hongkong der Audi AG) mit den Vorteilen der Vielfalt (Geschlechtergerechtigkeit, Internationalisierung, Altersvielfalt) den Vorstand überzeugen können. Das Mentorship und Sponsoring Programm besteht aus drei Säulen: Mentor*innentreffen, Aus- und Weiterbildung, Veranstaltungen und Netzwerke.
„Every Woman at SAP is a ‚Woman in Tech’“, sagt Verena Laumayer (SAP Expert/SAP Women in Tech and D&I Lead Office of the CEO) und setzt auf eine verbesserte Sichtbarkeit. Dazu gehöre, für Veranstaltungen und Kongresse mehr weibliche Vortragende durch aktive Ansprache zu gewinnen und weibliche Vorbilder im Unternehmen zu fördern. Für Querschnittsfunktionen seien nicht zwingend technische Kompetenzen gefragt.
„Elternzeit & Führung in Teilzeit – Machen ist wie wollen, nur krasser“ berichtete Stephanie Karger (Head of Group Standards & Safety bei BSH Hausgeräte GmbH), von ihrer Elternzeit und Rückkehr ins Unternehmen. Sie führt 300 Entwickler*innen am Standort, ihr Anspruch ist Führung mit Vertrauen. Christian Stelzmueller (Global HR Business Partner bei BSH Hausgeräte GmbH) als ihr Mentor hob hervor, dass Potenzial wichtiger sei als langjährige Erfahrung.
Beim Thema „Transformation gestalten: ‚Betriebliches Praxislaboratorium – Flexibilität in der Schicht‘“ berichteten Carsten Mohr (Leiter der Lackiererei der AUDI AG in Ingolstadt), Marika Paulus (Fachliche Assistentin Recruiting, Audi Akademie) und Andrea Wauschek (Projektleiterin Flexibilität in der Schicht, Lackiererei der AUDI AG). Dies betriebliche Praxislaboratorium für die 1.800 Mitarbeiter der Lackiererei ist ein sehr interessantes Projekt der Audi AG. Im Kern geht es darum, Mitarbeitenden in der Produktion eine Flexibilisierung der Arbeitszeit zu ermöglichen, insbesondere zur Stärkung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dabei werden entstehende Lücken werden von Springern abgedeckt, die ansonsten im indirekten Bereich tätig sind. Zu 95 Prozent wird das Modell von Frauen angenommen und soll Mitte 2025 im gesamten Unternehmen umgesetzt werden.
Das Pilotprojekt wurde vom ISF wissenschaftlich begleitet. Dazu eine persönliche Anmerkung: Die ersten Kontakte des ISF mit Audi habe ich als Betriebsrat mit eingeleitet.
In der abschließenden Podiumsdebatte: „Weichenstellungen für die Zukunft – Wie können wir Möglichkeitsräume für Frauen gestalten?“ mit Christine Regitz, Jörg Staff (Vorstand der deutschen Gesellschaft für Personalführung – DGFP, Aufsichtsrat und Executive Advisor), Elly Siegert (Leiterin Global Human Resources der BSH Hausgeräte GmbH) und Fiona Taylor (Leiterin Produktionsstrategie bei BSH Hausgeräte GmbH) wurden kritisch die Stolpersteine dargestellt. Zum einen haben wir ein Bildungssystem, das auf die Digitalisierung nicht vorbereitet ist. Technische Berufe sollten besser sichtbar gemacht werden. Frauen brauchen manchmal Ermutigung und Förderung für eine technische Ausbildung. Der Fachkräftemangel könnte Frauen in die Karten spielen und Unternehmen zum Umdenken zwingen, allerdings bestehe auch das Risiko, dass Firmen die Arbeit verlagern. Unternehmen müssen sich künftig mehr auf Menschen ausrichten, sowohl als Kund*innen als auch als Mitarbeiter*innen. Homeoffice biete viele Vorteile, jedoch hätten viele Firmen keine Strategie dazu.
Ulrich Bareiß
mti Ingolstadt und Ex-Betriebsrat bei AUDI